Sonntag, 21. November 2010

Die Meibomdrüsenfunktion und die Ölschicht

Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung dieses Papers:
McCully J. P., Shine W.E., Meibomian Gland Function and the Tear Lipid Layer, The Ocular Surface, July 2003, Vol. 1. No.3, p. 97-106


In den letzten 20 Jahren sah man sowohl klinisch als auch experimentell, dass die Meibomdrüsen in zahlreichen Augenoberflächenerkrankungen, wie zum Beispiel Lidrandentzündungen (Blepharitis) oder auch dem evaporativen Trockenen Auge (Trockenes Auge durch zu starke Verdunstung), eine gewichtige Rolle spielen. Es wird vermutet, dass durch die individuellen Veränderungen des Meibomsekretes die Ölschicht in ihrer Dynamik gestört wird. Erkrankungen der Augenoberfläche sind die Folge.



Die menschliche Meibomdrüse
Die Meibomdrüsen sind Talgdrüsen an der Lidkante der Augenlider. Benannt sind sie nach Heinrich Meibom (1638–1700), einem Arzt und Anatom aus Helmstedt (wer ein Herz für nebensächliche Fakten hat, der wird sich dafür interessieren, dass die Grossmutter des ehemaligen deutschen Präsidenten Richard von Weizsäcker eine geborene von Meibom war...). Diese Drüsen liegen im Lidknorpel (Tarsus). Die Meibomdrüsen geben eine ölige Flüssigkeit ab, die sich mit der von den Tränendrüsen abgegebenen Tränenflüssigkeit vermischt und dafür sorgt, dass letztere nicht zu schnell verdunstet. Es finden sich ca. 20-25 Drüsen am Unterlid und 30-40 Drüsen am Oberlid des Auges. Die Drüsenausführungsgänge enden zwischen der vorderen und hinteren Lidkante, d.h. im Übergang von Haut zu Schleimhaut. Man kann sich eine solche Drüse wie eine Rispe Weintrauben vorstellen: Die einzelnen Trauben sind die Orte wo das Sekret produziert wird, der Stiel ist der Ausführungsgang der Meibomdrüse, welcher auf der Lidkante das Öl abgibt.

Das Öl der Meibomdrüsen bildet wie gesagt die Ölschicht des Tränenfilms und hat wichtige schützende Funktionen. So soll es verhindern, dass Tränen auf das Lid laufen und es soll das Auge in der Nacht wasserdicht abschliessen. Eine weitere wichtige Funktion der Ölschicht ist auch, am offenen Auge die Verdunstung der Flüssigkeit zu reduzieren und als Gleitmittel für die Lider beim Lidschlag zu dienen. Das Meibomsekret bildet zudem einen Schutz vor dem Eindringen von Bakterien und Lidhauttalg in den Tränenfilm.

Die Mechanismen wie das Meibomsekret gebildet und wie die Menge und Qualität kontrolliert wird, sind nicht gänzlich geklärt. Da es sich bei den Meibomdrüsen um holokrine Drüsen handelt, stossen die Drüsen jeweils die älteste Schicht ihrer Zellen in den Ausführungsgang der Meibomdrüsen ab. Polare und nicht-polare Öle, umgeben zum Teil noch von den alten Zellmembranen, bilden das Meibomdrüsensekret. Von unten kommen in der Folge immer neue Zellen nach und werden in den Ausführungsgang der Meibomdrüsen abgestossen. Es braucht in etwa 9 Tage bis eine Zelle voll ausgereift ist und vom Grund der Zelle ins Lumen des Ausführungsgangs hochwandert um dann dort abgestossen werden zu können.

Mechanismen welche die Sekretion der Meibomdrüsen steuern
Es ist durch zahlreiche Untersuchungen klarer geworden, dass die Meibomdrüsen sowohl über Nerven (parasympathisch, sympathisch und sensibel), Hormone (Östrogene, Androgene und Progesteron) und Blutgefässe beeinflusst werden können. Meibomdrüsenzellen haben, wie andere Talgdrüsen und die Tränendrüse auch, Androgen- und Östrogenrezeptoren, was es wahrscheinlich macht, dass Hormone eine wichtige Rolle in der Steuerung der Drüsen spielen. Beispielsweise zeigen Patienten, die im Rahmen einer Prostataerkrankung Medikamente gegen Androgene (Antiandrogene) einnehmen müssen, vermehrt Defekte der Bindehaut und Hornhaut (Bengalrosafärbung und Fluoreszeinfärbung positiv), eine erhöhte Viskosität des Meibomsekrets und eine verminderte Tränenfilmaufreisszeit. Die Antiandrogentherapie reduziert auch deutlich die Di- und Triglyzeride, Wachsester und Cholesterinester und erhöht das freie Cholesterin im Meibomdrüsensekret.

Wie wird das Meibomsekret in den Tränenfilm abgegeben?
Man geht von zwei sich ergänzenden Mechanismen aus. Der eine ist passiv, das heisst das Drüsensekret wird gebildet und fliesst erst auf die Lidkante, wenn der Druck im Ausführungsgang der Drüse so gross ist, um den Druck am Ausgang zu überwinden. Dies passiert zum Beispiel so im Schlaf. Der andere Mechanismus ist ein aktiver, hierbei wird Meibomsekret bei jedem Lidschluss auf die Lidkante gedrückt. Wenn also sehr oft geblinzelt wird, so wird häufiger ölhaltiges Sekret in den Tränenfilm abgegeben. Wenn kein Lidschlag vorhanden ist, wie z.B. bei einem Patienten in Narkose, so geht man davon aus, dass passiv pro Stunde und Auge ca. 333µl ölhaltiges Sekret von den Meibomdrüsen in den Tränenfilm gelangen können.

Charakteristika des Meibomsekrets
Das Meibomsekret hat einen niedrigen Schmelzpunkt. Dieser liegt zwischen 19°C und 32°C und erlaubt ein gutes Fliessen des Sekrets durch die Drüse auf die Lidkante und von da in den Tränenfilm.
Das Meibomsekret entsteht im wesentlichen durch die Meibomdrüse selber, allerdings können der Ausführungsgang selbst und Bakterien, welche im Ausführungsgang natürlicher- oder unnatürlicherweise vorkommen, das Sekret wesentlich beeinflussen.
Die Zusammensetzung des Meibomsekrets ist wie folgt:

   Synthetisierte Öle (Lipide)
      Wachsester44%
      Sterolester33%
      Triglyzeride5%
      Diglyzeride2%
      MonoglyzerideSpur
      FettalkoholeSpur
      Kohlenwasserstoffe2%
   Lipide der Zellmenbran
      Cerebroside4%
      CeramidSpur
      Phospholipide8%
   Lipide durch Abbau in der Zelle oder durch bakteriellen Abbau
      Freie Fettsäuren2%

Wir unterscheiden nicht-polare Lipide und polare Lipide. Zusammen bilden sie die Lipidschicht des Tränenfilms. Nicht-polare Lipide schliessen das Auge gegen die Luft ab, sitzen also eher "aussen" an der Ölschicht, die polaren Lidpide sitzen der wässrigen Phase des Tränenfilms auf, sind also "innen". Verbunden werden diese Lipide durch die Triglyzeride, welche die polaren und nicht-polaren Lipide zusammenhalten.

Die Funktion der polaren Lipide ist multifunktionell. Sie agieren als Surfactant (grenzflächenaktive Substanz, erleichtert die gleichmässige Verteilung auf der wässrigen Tränenflüssigkeit), stellen eine Barriere dar und geben den nicht-polaren Lipiden ein Fundament für ihren Aufbau. Die Funktion der nicht-polaren Lipide ist der Schutz des Tränenfilms vor Verdunstung, sie sind als Schmiermittel wichtig für die Lidbewegung und ermöglichen dem Meibomsekret eine gute Fliesseigenschaft.

Die Meibomdrüsenfunktion und Augenoberflächenerkrankungen
Es ist bekannt, dass 75% der Patienten mit einer Lidrandentzündung (Blepharitis) veränderte Meibomdrüsen aufweisen. Dies bedeutet konkret, dass Drüsen ausgefallen sind, dass Ausführunggänge erweitert sind, dass zystische Veränderungen der Drüsen vorkommen oder dass die Ausführungsgänge durch neu gebildetes Gewebe verschlossen sind. Diese Veränderungen widerspiegeln sich auch im Sekret, wenn es den von solchen Drüsen noch ausgedrückt werden kann. Es ist oftmals in der Zusammensetzung verändert und ist nicht mehr so klar wie normales Meibomsekret. Diese obstruktive Meibomdrüsenerkrankung (OMGD = obstruktive meibom gland disease) führt zu einem instabilen Tränenfilm, erhöht die Verdunstung und erhöht die Osmolarität des Tränenfilms. Bei der „OMGD“ sehen wir häufig eine Abnahme von Triglyzeriden und eine variable Menge an Cholesterin. Zudem nehmen die nicht-polaren Lipide ab, was zu einem veränderten Schmelzpunkt des Meibomsekrets führt. Da das Sekret dadurch fester wird, kommt es zu einer vermehrten Stagnation des Meibomsekrets in den Drüsenausführungsgängen bis hin zu einem Verschluss.

Verlust von polaren Lipiden, wie z.B. dem Triglyzerid, führt zu einem instabilen Tränenfilm, da die Triglyzeride ja die polaren und nicht-polaren Lipide verbinden helfen.

Patienten mit einer Lidrandentzündung (Blepharitis) zeigen ebenfalls eine reduzierte Produktion von polaren Lipiden. Da die polaren Lipide für die Stabilität der nicht-polaren Lidpide gebraucht werden, kommt es in der Folge zu einer Instabilität der Ölphase des Tränenfilms, zu einer schlechteren Ausbreitung der Lipide über der wässrigen Phase des Tränenfilms und dann als Resultat zu einer vermehrten Verdunstung und zu einem Trockenen Auge. 

Unter Therapie mit Anti-Androgenen und auch beim Sjögren-Syndrom (Hauptsymptom des Sjögren-Syndroms ist aber eine Störung des wässrigen Schicht) findet sich sowohl eine Reduktion der polaren als auch der non-polaren Lipide. Zudem ist die totale Lipidproduktion erniedrigt. 

All die genannten Störungen rund um die Meibomdrüsen stören die Ölschicht des Tränenfilms, bewirken, dass dieser teilsweise nicht mehr vorhanden ist und die wässrige Schicht freiliegt. Weil die Patienten über die Tränendrüse eine ausreichende wässrige Phase des Tränenfilms bilden, dies aber mangels Schutz vermehrt verdunstet, bezeichnet man diese Erkrankung auch als „evaporatives Trockenes Auge“.

Wie wirken sich Bakterien und Antibiotika auf die Ölschicht des Tränenfilms aus?
Es gibt zahlreiche harmlose Bakterien am Lidrand und in der Bindehaut, die der Lipidschicht nicht schaden. Einige dieser Bakterien produzieren aber Enzyme, welche Lipide abbauen, und so die Lipidschicht schädigen können. Es ist also durchaus wichtig die Population der Bakterien zu kontrollieren.

Aber wie? Zuerst hilft der Körper sich selbst. Die Tränendrüse und die Bindehaut sind hier die Hauptproduzenten für spezielle Eiweissprodukte (Peptide), welche sich gegen verschiedene Bakterien, Pilze und Viren wenden können. Proteine aus der Tränendrüse wie, Lysozym, Lactoferrin und Phospholipase A2, sind effektiv gegen viele Bakterienstämme.

Bakterien können auch durch Antibiotika kontrolliert werden. Wenn man z.B. mit niedrigdosiertem Minocyclin behandelt, so finden sich nachher nicht mehr viele Bakterien auf der Bindehaut. Diese Tetracyclin-basierten Antibotika kontrollieren nicht nur das Wachstum der Bakterien, sondern auch die Menge der Enzyme (Lipasen) welche von den Bakterien produziert werden. Diese Effekte sind dosisabhängig, die Hemmung der Lipaseproduktion benötigt nur 10% der Dosis, die für die Hemmung des Wachstums benötigt wird. (Sind die Bakterien resistent ist die Dosis natürlich wieder bedeutend höher oder das Antibiotikum sogar ineffektiv.) Tetracyclin-basierte Antibotika haben auch noch eine weitere Eigenschaft, sie hemmen Entzündungsvorgänge. Weiterhin erhöhen sie im Meibomsekret die ungesättigten Triglyceride was sich positiv auf Flusseigenschaften des Sekrets auswirkt.

Diese Effekte der Behandlung mit Antibiotika sind wertvoll in der Behandlung der Meibomdrüsenerkankungen und dem daraus resultierenden Trockenen Auge.

Bakterien in der Meibomdrüse
Es ist davon auszugehen, dass wenn die Meibomdrüsen mit zahlreichen Bakterien kolonialisiert sind, dass diese auch mehr Enzyme bilden, welche Lipide abbauen können. Es entstehen dadurch mehr frei Fettsäuren, welche Gift für die Augenoberfläche sind. Zudem würden weniger polare Lipide entstehen, was in einer schlechteren Verteilung der Lipidschicht und einem instabilen Tränenfilm resultieren würde.

Auch um diese Effekte einzudämmen ist eine antibotische Therapie mit Tetracyclin-basierten Antibotika sinnvoll.

Zusammenfassung
Sie sehen nun also, dass die Ölschicht des Tränenfilms zwar in sich ein kleines Wunderwerk ist, sich aber auch anfällig für Veränderung oder Lipidabbau durch Bakterien zeigt.
Diese Schicht zu ersetzen ist gegenwärtig nicht möglich, die vielen erhältlichen "Tränenersatzmittel" ersetzen ja hauptsächlich die wässrige Schicht des Tränenfilms. Es ist daher angeraten, die Meibomdrüsen gesund zu halten und Erkrankungen der Drüsen entsprechend den Vorgaben zu behandeln. Lidrandhygiene, Omega-3-Fettsäuren und Tetracycline spielen in der Behandlung der Meibomdrüsenerkrankungen deshalb eine zentrale grosse Rolle.

1 Kommentar:

  1. Sehr geehrte Frau Kollegin Eberle,

    Ihr gesamter Blog (nicht nur der Teil über Rosacea) hat mir im wahrsten Sinnes des Wortes "die Augen geöffnet". 1000 Dank für diese Fülle an exzellent recherchierten und aufbereiteten Informationen! Leider wohne ich in Norddeutschland, somit ist ein Besuch Ihrer Praxis nicht ganz so einfach zu bewerkstelligen. Da es z.T. sehr schwierig ist, Ophthalmologen mit einem echten Interesse am Gesamtkomplex "trockenes Auge" zu finden, wäre ich Ihnen sehr dankbar, falls Ihnen jemand im Großraum Hamburg einfallen sollte. Als Gastroenterologe bin ich "Bildschirmarbeiter" und damit an sich schon prädisponiert für das trockene Auge.

    Als Konsequenz aus Ihren hier veröffentlichten Empfehlungen werde ich die Lidrandpflege+Teebaum Anwendung ausprobieren. Den Zusammenhang zwischen meinem kürzlich als Rosacea klassifizierten Orbitarandekzem und meinen trockenen Augen sowie dem langwierigen (mittlerweils spontan verschwundenen)Chalazion haben Sie mir aufgezeigt. Die Hautveränderungen sind durch lokale Erythromycin Anwendung nach 3 Wochen fast verschwunden. Komischerweise habe ich den Eindruck, daß das Problem des trockenen Auges sowohl an der behandelten als auch der kontralateralen Seite besser geworden ist. An der behandelten Seite kann ich es mir ja noch mit der Reduktion der Milben- und Bakterienpopulation erklären.

    Falls Sie noch einen Tip für eine Flüssigkeitsbenetzung haben (tears again, Artelac Nighttime Gel, Artelac Rebalance, Berberil haben nichts gebracht), wäre ich Ihnen superdankbar. Mit ist klar, daß man diesbezüglich eigentlich nur seriös nach eingehender Untersuchung beraten kann...

    Noch einmal herzlichen Dank für Ihr großes Engagement und Ihr Enthusiasmus für dieses Thema! Herzliche Grüsse,

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